Fußgängerzone
Ulm

Neugestaltung Fußgängerzone

Auslobung: Stadt Ulm
Datum: Oktober 2022
Preis: 1. Preis
Architektur: terra.nova landschaftsarchitektur, München

Der beste Zwirn für die Gute Stube

Die Ulmer Fußgängerzone vom Bahnhof- zum Münsterplatz und vom Wengen- zum Fischerviertel ist der zentrale Freiraum und die verbindende Lebensader der Innenstadt. Besonders letzteres, der verknüpfende Leitgedanke wird zum zentralen Entwurfsprinzip. Demnach wird über ein eigenständiges, sich klar von der restlichen Kernstadt unterscheidendes Erscheinungsbild ein neuer räumlicher Zusammenhang geschaffen, der mit seinen Hauptachsen Nord mit Süd und Ost mit West gleichsam einem Gewebe zusammenbindet.

Das ‘Ulmer Barchent‘ ist hierbei das charakteristische Grundelement. In Anlehnung an den für die historische Prosperität Ulms so wichtigen Webstoff, einem Mischgewebe aus Baumwoll-Schuss und Leinen-Ketten, auch als ’Ulmer Geld‘ bezeichnet, wird ein eigenständiger Stadtboden entwickelt. Dieser durchzieht die zentrale Fußgängerachse und hebt diese mit dem einzigartigen Markenzeichen ‘Ulmer Barchnet‘ als exklusive innerstädtische Region und Handelslage besonders heraus:

„Venediger Macht,
Augsburger Pracht,
Nürnberger Witz,
Straßburger Geschütz,
und Ulmer Geld
regier’n die Welt.“

Mit dem Ulmer Geld im Vers ist neben dem in Ulm geprägten und von Ulmer Handelsleuten und Bankiers reichlich verwendeten Münzgeld auch das gemeint, was den eigentlichen Reichtum Ulms ausmachte – das Barchent. Das nach strengster Prüfung mit dem Ulmer Siegel versehene Barchent bürgte für eine so außergewöhnlich hohe Qualität, dass es, da in ganz Europa begehrt, so gut wie Geld war.

 

Charakteristik, Resilienz und Wandelbarkeit

Grundsätzlich stellt sich die Frage der zukünftigen Ausrichtung und Bedeutung der Typologie ‚Fußgängerzone‘. Die Nutzungen der zentralen Innenstadtlagen werden sich langfristig verändern und der Anteil an Dienstleistungen, Kultur-, Kreativ- und insbesondere Wohnnutzungen wird sich erhöhen. Um diesen Wandel gerecht zu werden müssen die ‚neuen Fußgängerzonen‘ im wahrsten Sinne des Wortes wandelbar und anpassungsfähig konzipiert werden, da sie nicht nur dem bisher primären Ziel der Konsolidierung der Konsumfähigkeit entsprechen müssen. Vielmehr rücken neben der Handels- insbesondere Kommunikations-, Sozial- und Klimafunktionen in den Vordergrund. Damit einher geht der Wandel von monostrukturierten Durchgangs- zum qualitätvoll ausgestalteten Aufenthaltsräumen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche planerischen Faktoren diesen Paradigmenwechsel begünstigen. Sicherlich wird neben einem eindeutigen konzeptionellen Ansatz ein bestimmtes Maß an planerischer Unbestimmtheit notwendig, welche langfristig Spielräume für konkrete Ausgestaltung ermöglicht, oh ne jedoch den Grundansatz in Frage stellen zu müssen.

Demzufolge schlagen wir ausgehend von der angestrebten eindeutigen Lesbarkeit des Stadtbodens als zusammenhängendes Gewebe in einem zweiten Schritt eine weitere Klassifizierung von Teilarealen, Haupt- und Nebenachsen vor. Ausschlaggebend hierfür ist deren räumliche Ausgangssituation sowie Lage im Stadtraum. Die zentrale Achse vom Bahnhofs- zum Münsterplatz erhält hierbei durch eine weitere, feine Differenzierung des Stadtbodens sowie zusätzlichen lockeren Baumstellungen eine Gliederung in Mittelzone und Seitenbereiche. Die Seitenbereiche nehmen die geschäftsnahen Funktionen wie Auslagen oder erdgeschoßbezogene Freisitze in einer schmalen Spur entlang der Fassaden auf. Die Mittelzone ist flexibel für die Anordnung von Verweilzonen, weiteren Gastronomiebereichen oder Sekundärbegrünungen. Die Nebenachsen erhalten dichte lineare Baumlinien und unterscheiden sich somit klar von der Hauptachse. Eine Sonderstellung nimmt hierbei die Glöcklerstraße ein. Unter Berücksichtigung des Baumbestandes wird dieser zu einem großen schattenspendenden Baumdach zusammengeführt. Eine großzügige Bachöffnung stellt den spezifischen Ortsbezug und die verloren gegangene Präsenz der Großen Blau wieder her. Auf natürliche Weise wird mit der ‚Blautreppe‘ das Thema Wasser inszeniert und verleiht diesem Bereich seinen besonderen, identitätsstiftenden Impuls.

 

Grün verbindet-Grüne Meile und Grüner Salon

Eine möglichst starke Durchgrünung mit bodengebundenen Baumstandorten gebündelt mit Regenrückhalt im besten Sinne der Schwammstadt leisten langfristig einen wertvollen Beitrag um die negativen Auswirkungen des Klimawandels in den stark versiegelten Innenstadtlagen abzumildern und gleichzeitig den Wohlfühl- und Aufenthaltscharakter deutlich zu positvieren. Mit der ‚Grünen Meile‘ in der Bahnhof- und Hirschstraße und dem ‚Grünen Salon‘ in der Glöcklerstraße werden dem Entwurfskonzept entsprechend zwei grundsätzlich verschiedenartige Begrünungstypologien entwickelt. Die ‚Grüne Meile‘ unterstreicht als baumbestandene Spur hoch aufgeasteter Zukunftsäume wie Celtis australis (Zürgelbaum) oder Gleditsia triacanthos ‚Skyline‘ (Dornenlose Gleditschie) wie die Linearität der Hauptachse. Im Sinne der Resilienz, sind die Baumstellungen flexibel gedacht und können auf technische (unterirdischer Bauraum), nutzungsspezifische (Feuerwehr, Gastronomie, etc.) oder stadträumliche (Blickbeziehungen) Erfordernisse reagieren bzw. werden langfristig Nachverdichtungen ermöglicht. Im Gegensatz hierzu bietet der ‚Grüne Salon‘ ein differenzierte Raumerfahrung. Hier steht nicht das Thema des Aufenthalts zwischen, sondern unter Bäumen im Vordergrund. Eine große Baumhalle überspannt einen zusammenhängenden und flexibel nutzbaren (z.B. Boule, Sommerbestuhlung, etc.) Bereich aus wassergebundener Decke. Dieser wird durch eine kleine Bühne, zugleich als multifunktionales Sitz- und Liegepodest nutzbar, im Bereich der erhöht stehenden Bestandsbäume ergänzt.
Stadträumlich verbinden die dreidimensionalen Baumvolumen Seiten- und Nebenachsen gleichermaßen und unterstreichen den verbindenden Leitgedanken.

 

Materialität „Ulmer Barchnet“

Für Haupt- und Seitenachsen wird zunächst eine einheitliche Materialität aus hellem Granit (gräulich bis rötlich) mit günstigem Albedo-Wert verwendet. Die Verlegeweise erfolgt gebunden in Reihe mit unterschiedlichen Bahnbreiten. Entlang der Gebäudesockel wird ein umlaufender Saum geführt, der Rück-Vorsprünge sowie Eingangszonen aufnimmt und einheitliche Anschlüsse für die anschließenden Plattenbänder ermöglicht. In Anlehnung an das „Ulmer Barchnet“ werden wechselweise hellere und dunklere Bänder über die gesamten Straßenbreiten geführt. Eine Besonderheit stellt die Mittelzone der Hauptachse dar. Sie erhält durch eine spezielle Oberflächenbearbeitung eine gegenüber dem übrigen Stadtboden je nach Belichtungsverhältnissen, Blickrichtung und Tageszeit weniger oder stärker wahrnehmbare Varianz. Hierfür werden wie dies für das ‚Barchnet‘ üblich ist je Plattenband wechselnde Diagonallinien mittels Rillierung in der Oberfläche eingearbeitet. Sie sind Ausdruck der einzigartigen Charakteristik des Ulmer „Fußgängerzonenbarchnets“.

 

Raum und Licht

Dem Entwurfsduktus entsprechend erfolgt lichttechnisch ebenso eine differenzierte Betrachtung von Hauptachse und Seitenachsen. Die Konsequenz der ‚Grünen Meile‘ als lineares Band locker gestellter Großbäume findet ihre Fortführung im Beleuchtungskonzept. Punktuell abgehängte, opake Leuchtenzylinder in freier Anordnung unterstützen die spielerische Grundordnung. Aufgrund des leicht geschwungen Stadtraums vereinzeln oder verdichten sich die Lichtpunkte und geben wechselnde Ausblicke in den Stadtraum frei. Die Lichtspur unterstützt auch in den Abend- und Nachtstunden die angestrebte Verbindung- und Lenkungsfunktion vom Bahnhof- zum Münsterplatz.
Die Seitenachsen werden ihrer Nutzung entsprechend mit konventionellen Lichtstelen ausgeleuchtet. Diese folgen dem Duktus der Baumstellungen und werden dementsprechend punktuell angeordnet.
Die besondere Atmosphäre des ‚Grünen Salons‘ wird über eine Anstrahlung des Blätterdachs nächtlich inszeniert und unterstützt auf diese Weise die angestrebte hallenartige Raumsituation. Die beschriebenen Grundbeleuchtungen wird über wenige effektvolle Ausleuchtung der punktuellen Attraktoren wie Brunnen, Wasserspiel, Blautreppen und Stadtlounge spezifisch unterstützt. Sämtliche Lichtelemente werden insektenfreundlich mit Lichtintensitäten kleiner/ gleich 2800K ausgestattet. Die Lichtsysteme erhalten eine hochwertige Entblendung. Generell wird die Farbwiedergabestufe 1/ sehr gut eingesetzt. Eine hohe Lichtausbeute gepaart mit hohen Leuchtenwirkungsgraden ermöglicht einen wirtschaftlichen Betrieb. Zeitabhängige Milieuschaltungen führen dazu, dass in den Abend- und Nachtstunden die Beleuchtung in Stufen reduziert wird (Erscheinungsbild, Wirtschaftlichkeit), dabei aber die objektive und subjektive Sicherheitsanforderungen erhalten bleiben. Wenig Substantielles wird notwendig um auch in den Abend- und Nachtstunden eine angemessene Atmosphäre und Wirkung auf den Flaneur in der zukünftigen Ulmer Fußgängerzone auszustrahlen.